Kirche – relevant im 21. Jahrhundert:
Wir leben als christliche Gemeinschaft einladende Beziehung mit der Bevölkerung von Niederbipp und Walliswil.
Werte steuern unter der Oberfläche unsere konkreten Entscheidungen und prägen das Wie unserer Handlungen. Folgende fünf Werte sind für uns als Reformierte Kirchgemeinde Niederbipp unverzichtbar, sie sollen uns ausmachen, sie streben wir für unser Sein und Handeln an. Auf diese Werte wollen wir uns wohlwollend behaften lassen - im Wissen darum, dass wir oft hinter den Ansprüchen zurückbleiben:
Was bedeutet «Jesus Christus unser Kern: Jesus Christus ist der Boden für unser Sein und Wachsen»?
Was macht Kirche eigentlich zur Kirche? Das Gebäude mit dem Kirchturm und der Kanzel? Die fröhliche Gemeinschaft? Eine moralische Instanz für sogenannt christliche Werte? Es gibt auch andere alte Gebäude mit Türmen und Rednerpulten. Es gibt andere Zusammenkünfte, wo leidenschaftlicher gefeiert wird. Es gibt andere philosophische Begründungen für ein gutes Leben.
Nein, Kirche ist nur Kirche, wenn sie entsprechend der Ursprungsbedeutung des Wortes Kyriake ist, dem Herrn gehörig. Kirche ist nur Kirche, wenn sie sich versteht als Gemeinschaft von Menschen unterwegs mit Jesus Christus. Die Kirchenverfassung unserer Kantonalkirche bringt in ihrem ersten Artikel Entscheidendes dazu auf den Punkt: "1 Die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Bern bekennt sich zu Jesus Christus als dem alleinigen Haupt der einen allgemeinen christlichen Kirche. 2 Sie findet ihn bezeugt in der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments, die sie nach bestem Wissen und Gewissen unter der Leitung des Heiligen Geistes erforscht. 3 Sie weiss sich berufen zum Glauben an Gottes rettende Gnade, zum Dienst der Liebe und zu der Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes."
Nach unserem Verständnis ist Jesus Christus der Kern unserer reformierten christlichen Gemeinschaft in Niederbipp. Kern impliziert Bewegung um ein Zentrum. Wir orientieren uns alle an Jesus Christus als Mitte. Unsere Beziehung zu ihm ist je unterschiedlich: distanzierter oder intimer, emotionaler oder nüchterner, kritischer oder gutgläubiger. Doch in unserer Unterschiedlichkeit sind wir verbunden in der Beziehung zu ihm. Entscheidend für uns ist die Orientierung an der gemeinsamen Mitte, nicht eine Abgrenzung an den Rändern. Jesus Christus ist der Referenzpunkt für unser Denken und Handeln. Er ist der Boden, der uns trägt in unserem Sein und Wachsen. Er trägt uns in unserer Schuldhaftigkeit, er formt und verändert uns durch seinen Heiligen Geist in der Kraft der Auferstehung, zu Jesus Christus strecken wir uns unbeholfen aus und werden ihm so immer etwas ähnlicher.
Was bedeutet «Wertschätzende Haltung - Wir gehen mit den Menschen und der Schöpfung ehrlich, respektvoll und achtsam um.»?
Die Bibel zeugt davon, dass Gott seine ganze Schöpfung liebt. Jedes Geschöpf hat von ihm eine unauslöschliche Würde erhalten. Die Art wie Gott uns vorbehaltlos annimmt, soll auch unsern Umgang miteinander prägen. Wir haben Wert, einfach so, ohne Leistung. Diesen Wert messen wir darum auch einander zu und schätzen einander in aller Vielfalt und Unzulänglichkeit.
"Wir sollen an der Wahrheit festhalten und uns von der Liebe leiten lassen. So wachsen wir in jeder Hinsicht dem entgegen, der das Haupt ist: Christus. Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten durch alle stützenden Sehnen. Dabei erfüllt jedes einzelne Teil seine Aufgabe – entsprechend der Kraft, die ihm zugeteilt ist. So wächst der ganze Leib heran, bis er durch die Liebe aufgebaut ist." (Eph 4,15-16)
Als NachfolgerInnen von dem, der sagt, «ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben», sind auch wir der Wahrheit verpflichtet. Darum sind wir authentisch und sprechen die Wahrheit aus. Wir spielen nicht nur vordergründig ein schönes, frommes Theater. Auch unsere dunklen Seiten sollen ans Licht kommen, damit sie heil werden können. Wo starke Gefühle aufwallen, spielen wir nicht auf den Mann/die Frau, sondern wahren den Respekt vor dem/der Anderen. Eine andere Meinung zu haben, ist ok.
Unsere Achtsamkeit zeigt sich zum Beispiel darin, dass wir nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen fragen. Wir machen in unserem Umgang keinen Unterschied zwischen Personen aus dem Gemeindekern, Distanzierten oder Nicht-Mitgliedern. Nicht auf jedes Anliegen kann eingegangen werden. Die Gründe können mannigfach sein. Doch jedes Anliegen hat das Recht, respektvoll geprüft und abgewogen zu werden. Entscheide sind sorgfältig zu begründen und achtsam zu kommunizieren. Achtsamkeit bedeutet auch besonders Rücksicht auf Schwächere zu nehmen. «Gewiss, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen» heisst es in der Präambel der Bundesverfassung. Als Christen tragen wir hier besondere Verantwortung dafür.
Wir schätzen gegenseitig aktiv das Engagement aller freiwilligen und angestellten MitarbeiterInnen auf verschiedene Art und Weise. Die Kirchgemeinde weiss um ihre Vorbildfunktion und ist darum bestrebt eine möglichst gute Arbeitgeberin zu sein.
Wir gehen auch achtsam mit Tier & Natur um und fördern als Kirchgemeinde Nachhaltigkeit. Denn Gott hat uns Menschen die Tiere und die Natur zur Fürsorge anvertraut. «Die Erde untertan machen» ist kein Ausbeutungsauftrag, sondern der Auftrag, die unwirtliche Erde zu kultivieren und wie ein guter König für seine Untertanen zu sorgen.
Was bedeutet «Das volle Leben teilen: Du bist wichtig – wir teilen das volle Leben: «lache & gränne», «schaffe & fiire», «stritte & versöhne»?
Auch wenn wir das heute oft so verstehen: Kirche meint im Neuen Testament nirgends ein Gebäude. Der griechische Begriff für Kirche «Ekklesia» bezeichnet immer eine Gemeinschaft von Menschen – lokal oder weltumfassend. Die Kirchgemeinde Niederbipp existiert also nicht wegen unserem schönen alten Gebäude mit Turm, Glocken und Orgel, und auch nicht wegen dem Kantonsgesetz, das für unser Territorium eine entsprechende Institution öffentlichen Rechts etabliert hat. Das sind zwar wichtige äussere Zeichen, aber Kirchgemeinde Niederbipp ereignet sich immer erst dort, wo Menschen aus unseren Dörfern einander begegnen und unter dem «Vorzeichen» von Jesus Christus Gemeinschaft pflegen.
Für Gott zählt aber nicht einfach ein Kollektiv, sondern jedes einzelne seiner Geschöpfe ist ihm wichtig. Er kennt und ruft uns beim Namen. Darum wollen wir einander auch nicht anonym bleiben. Du bist ihm wichtig. Ich bin ihm wichtig. Wir sind ihm wichtig mit allen Facetten unseres Lebens. Den Schönen und den Schwierigen. Und so wollen wir interessiert aneinander eine wachsende Gemeinschaft leben. Interessiert an denen, die sich (schon) dazuzählen, interessiert an denen, die sich (noch) nicht dazuzählen.
In den Berichten über das Leben von Jesus sehen wir, dass diese Gemeinschaft einerseits eine Weggemeinschaft und anderseits eine Tischgemeinschaft ist. So wird deutlich, dass wir Gemeinschaft nie einfach haben, dass Gemeinschaft sich auf dem Weg verändert und wir die Gemeinschaft miteinander immer wieder neu suchen müssen. Gemeinschaft ist immer gefährdet und ein Risiko. Die Anderen sind eine Herausforderung. Und man selbst ist eine Zumutung für die Anderen. Doch wie in einer guten Familie halten wir zusammen und halten einander aus. Wir teilen beim Essen und Trinken am Tisch unser Leben. Erlebnisse, Gefühle, und Einsichten. Freud und Leid. Wir denken mit, wir lachen mit, wir leiden mit. Wir ringen leidenschaftlich um die richtigen Entscheidungen, weil oft Entscheidendes auf dem Spiel geht. Wir streiten dabei mit offenem Visier, weil wir uns vertrauen und wissen, dass das Gegenüber auch das Beste für uns und die Gemeinschaft will. Dort, wo wir uns verletzen, bringen wir das auf den Tisch. Wir bitten einander um Vergebung und versöhnen uns aus der Kraft Gottes. Danach feiern wir die geheilten Beziehungen. Wir arbeiten zusammen und wir feiern zusammen. Wir sind in unseren Dörfern miteinander unterwegs im Alltag und am Sonntag. Wir muten einander nicht nur das Sonntagsgesicht zu, sondern teilen das volle Leben: strahlendes Licht und drückende Schatten. Das volle Leben ist farbiger, aber es ist auch risikoreicher. Es ist nicht immer angenehm mit dem vollen Leben der Anderen konfrontiert zu werden. Doch weil Gott uns liebt und uns annimmt, wollen auch wir einander so annehmen und uns aus unserer Komfortzone locken lassen. Dabei vertrauen wir darauf, dass Jesus Christus uns vorangeht und der Heilige Geist uns die nötige Liebe, Kraft und Weisheit für diese Begegnungen miteinander gibt.
Was bedeutet «Glaubwürdigkeit: Was wir glauben, wollen wir glaubhaft leben»?
Glauben bedeutet nicht einfach nur etwas für wahr halten, sondern Glaube meint: Vertrauen in ein Gegenüber. So vertrauensvoll zu glauben nimmt mich als ganzes Wesen - mein Sein und Tun - mit in diese Beziehung hinein. An Gott zu glauben ist nicht eine Aussage, die ich auf einem Papier mit Ja oder Nein beantworten kann und sie dann getrost wieder auf die Seite legen kann, bis jemand diese Gretchenfrage wieder stellt. Dieses Vertrauen will gelebt und erprobt sein, in Höhen und Tiefen. Ein solcher Vertrauensglaube produzieren wir Menschen auch nicht einfach aus uns selbst. Auch wenn es Entscheidungsschritte auf unserer menschlichen Seite braucht: Glaube ist letztlich immer ein Geschenk Gottes. Dies alles meint Glaube in der Bibel.
Jesus hat viele Streitgespräche mit den Frommen seiner Zeit ausgetragen. Er kritisierte die sogenannten Pharisäer aber nicht für ihre Lehren und Bemühungen um ein gottgefälliges Leben. Er war mit ihnen theologisch ziemlich einig. Aber er kritisierte sie hart dafür, dass sie nicht lebten, was sie predigten. Dass sie gegen aussen einen frommen Anschein erweckten, aber blind dafür waren, dass bei ihnen innerlich das Böse weiter versteckt wuchern und wüten konnte. Und dass sie ob aller Bemühung um die Gerechtigkeit vor dem göttlichen Gesetz die Barmherzigkeit vergassen.
Wir wissen um diese Gefahren auch für uns. Wir wollen darum keine schönen oder heuchlerischen Fassaden voreinander pflegen. Wir wollen vielmehr authentisch, echt, ungeschönt und ehrlich voreinander und miteinander sein. Wo wir aneinander und an uns selbst scheitern, gestehen wir das ein. Wir müssen nicht perfekt sein, sondern leben von der Barmherzigkeit Gottes, von seiner Gnade und Vergebung. Dass wir glaubhaft leben, was wir glauben, zeigt sich auch darin, dass wir unsere gut geprüften und gemeinsam abgewogenen Entscheidungen in aller Demut geradlinig umsetzen. Dabei soll uns nicht kalte, sklavische Umsetzung von Regeln leiten, sondern den Menschen zugewandte Liebe und Barmherzigkeit in Treue zur Sache.
Unser Glaube an den dreieinen Gott soll in Niederbipp und Walliswil konkret werden, in Wort und Tat. Dieses Vertrauen in Gott soll nicht nur einen Mund sondern auch Augen und Ohren, Hände und Füsse bekommen – zum Wohl aller.
Was bedeutet «Tradition & Innovation: Wir schätzen unsere Herkunft und ermöglichen Neues»?
Zeiten ändern sich. Menschen verändern sich. Die Gesellschaft ändert sich. Zu allen Zeiten. Manchmal langsamer, manchmal schneller. Manchmal schleppend, manchmal dramatisch. Wie reagieren wir als Kirche auf den Wandel in unserer Zeit?
Es gibt Stimmen die fordern, die Kirche müsse mit der Zeit gehen und endlich diesen und jenen alten Zopf abschneiden. Andere hingegen mahnen, jetzt müsse man gegen den sogenannten Zeitgeist erst recht das Bewährte und Althergebrachte pflegen und vermitteln. Auf wen soll man hören und wie entscheiden? Die Grundlage dafür muss der Auftrag der Kirche sein. Auch wenn sich Umstände ändern, bleibt der Auftrag unverändert. Er kommt von Jesus Christus und ist nicht verhandelbar. Wir haben als Bipper Kirchgemeinde den Auftrag «als christliche Gemeinschaft einladende Beziehung mit der Bevölkerung von Niederbipp und Walliswil zu leben.» Dieser Auftrag bleibt. Wie er gelebt wird, wird sich aber je nach Zeit und Gegenüber verändern.
Die Kirche muss nicht hip sein. Neu ist nicht einfach besser. Nur weil wir vielleicht gerne modern und progressiv wären und das in der breiten Öffentlichkeit gut ankäme, sollten wir nicht in vorauseilendem Gehorsam auf Dinge verzichten, die heute nicht mehr angesagt sind. Es ist richtig und wichtig, an Bewährtem festzuhalten, wenn es dem Auftrag entspricht und zielführend ist. Altes ist aber auch nicht automatisch besser. Es kann geschehen, dass bewährte Formen auf Grund der Veränderung des Umfeldes plötzlich die Erfüllung des eigentlichen Auftrages arg erschweren oder fast verunmöglichen. Dann ist es an der Zeit neue Wege zu suchen und zu beschreiten. Es ist wichtig, dass wir als Kirche verstehen, dass es einen Unterschied zwischen Tradition und Traditionalismus gibt. Vieles, was man für in Stein gemeisselt hält, ist nicht Tradition, sondern Traditionalismus. Vieles, was wir an kirchlichen Formen kennen, gehört nicht unveränderlich zur Kirche dazu. Wenn wir in der Geschichte rückwärts schauen, sehen wir, dass unsere 2000 Jahre alte Tradition beweglich ist und je nach Kontext neu interpretiert werden kann und muss. Gerade das sollte uns als Kirche der Reformation ausmachen. Die Reformatoren im 16. Jahrhundert waren der Ansicht, dass die Kirche vom Ursprung her immer wieder neu reformiert werden muss: «Ecclesia semper reformanda».
Wir wollen als Kirchgemeinde wertschätzen, was uns unsere Vorfahren als Erbe hinterlassen haben und dazu Sorge tragen und pflegen. Das Erbe gut zu verwalten heisst aber auch, es wo immer nötig weiterzuentwickeln. Kirche darf nämlich nicht zu einem blossen Erinnerungsverein christlicher Kultur werden. Der Glaube an Jesus Christus will aus den Wurzeln im Erbe heute gelebt werden. Als Kirchgemeinde stehen wir in der Verantwortung, vom Auftrag her sorgfältig abzuwägen, wo einerseits das Erbe auch heute dient und unbedingt erhalten werden muss, und wo wir andererseits lernen müssen loszulassen zu Gunsten von allenfalls Neuem, das der Auftrag unter neuen äusseren Bedingungen verlangt. Es hilft dabei, wenn wir danach fragen, was denn das Anliegen hinter dem Äusseren einer Tradition ist. So können wir erkennen, wo allenfalls Handlungsbedarf besteht. Und wir können dann - wo nötig - dem ursprünglichen Sinn auch unter veränderten Bedingungen neue Form geben. Die neuen Formen, die auch dem Auftrag entsprechen, fallen aber nicht einfach so vom Himmel. Darum schaffen wir Raum zum Experimentieren und etablieren eine Kultur des Wohlwollens und Fehler-machen-Dürfens.